Die Demokratie ist in Verruf geraten. Zu langsam, zu kompliziert, zu ineffizient, handlungsunfähig gegenüber den globalen Krisen und die Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig gegenüber Ländern mit anderen Staatsformen. Und sind wir mal ehrlich, mit einer Wahl in vier Jahren – oder lass es drei oder vier auf verschiedenen Ebenen sein, das soll es dann sein? „Man wähle nur noch das geringste Übel“ hört man von so einigen, Politiker machen nach der Wahl sowieso was sie wollen und passieren tut eh nichts.
Und ja, das System hat strukturelle Herausforderungen. Es ist dem Kurzzeitgedächtnis der Wähler unterworfen. Die Demokratie, wie wir sie in Deutschland und Westeuropa leben, bietet wenig Anreize für langfristige Verbesserungen am System. Die Verkehrsinfrastruktur ändert sich nicht von heute auf morgen, Industrien siedeln sich nicht auf Knopfdruck an und der Lehrermangel lässt sich nicht innerhalb des Schuljahres beheben. Wenn man etwas langfristig angelegtes ändert – sozusagen die großen Änderungen – ist man im Zweifel längst nicht mehr im Amt, wenn sich die Verbesserungen äußern. Vermutlich feiert sich dann die aktuelle Regierung dafür. Einige langfristige Verbesserungen sind nur gegeben, wenn die Regierung tatsächlich sich in Situationen gegen das Interesse wendet, wiedergewählt zu werden. Wir sollten also auf Politiker setzen, die sich für die Sache interessieren, nicht nach Macht streben und sich im Zwischenstadium damit zufrieden geben, wenn Sie trotz richtiger Impulse bei der nächsten Wahl krachend aus dem Bundestag fliegen.
Genannt sei auch das Paradoxon der Toleranz. Wie oft habe ich schon Sachen gehört, die einer Richtigstellung bedürfen oder man eigentlich nicht so stehen lassen dürfte – man es aber nicht tut. Jede Demokratie hat vermeintlich einen eingebauten Selbstzerstörungsknopf. Die Staatsform suggeriert, man müsse alle Meinungen tolerieren – auch die Meinungen, die die Staatsform ablehnen. Ein Paradoxon par excellence. Doch das ist ein Trugschluss. Die Demokratie erfordert den Grundkonsens, dass die Staatsform und die Werte erhalten bleiben. Und diese sollte man auch sportlich verteidigen und gleichzeitig mit Einfühlungsvermögen an den Kern des Dilemmas des Gegenüber herantreten.
Aber es ist das einzige System, in dem ich mich wohlfühle zu leben. Es schützt die Schwachen – die Starken bedürfen selten Schutz – es erlaubt allen ein Wort, es stellt uns als Menschen alle gleichwertig.
Schauen wir über den Teich, hoffe ich zumindest, dass dieses mal das „Frühwarnsystem“ USA für die Zukunft der europäischen Politik keine Ableitungen zulässt. Das ist vermutlich aber illusorisch, denn Anzeichen gibt es genüge. Deshalb, befasse ich mich aktuell damit, was ich aktuell als friedliebender, demokratisch gesinnter, am grenzüberschreitenden Gemeinwohl interessierter Mensch in dem System USA in meinem Leben nun (anders) tun – oder nicht tun – würde.
Es bedeutet vermutlich vor allem folgendes: das zu tun, was man selbst verantworten kann und für moralisch richtig empfindet. Es erfordert Medienkompetenz, Einfühlungsvermögen und kritisches Denkvermögen. Während das Denken erstmal einem selbst gehört, ist vor allem das Handeln aber irgendwann mit Risiken verbunden – ein Risiko, welches zunimmt. Was ist zum Beispiel, wenn man bei einem Arbeitgeber beschäftigt ist, der zum problematischen System beiträgt? Welcher aus finanziellen Interessen nicht dagegenhält oder gar aktiv von dem problematischen Kurs der Regierung zu profitieren versucht? Profitiert man dann nicht auch davon? Sofern man nicht unmittelbar von dem Kurs der Regierung betroffen ist, mag es für einen erstmal persönlich sinnvoll erscheinen, einfach wie vorher weiter zu machen. Und damit akzeptiert man bereits das neue System. Ich finde es erstaunlich ruhig in den USA, wenn man mitbekommt, was so passiert.
Es wird schwierig – vermutlich ist es am einfachsten und cleversten, es gar nicht so weit kommen zu lassen. Und dafür stelle ich nicht mehr als folgende fundamentale Fragen in den Raum, deren Beantwortung und Diskussion sich sicher – mit Freunden und Familie – lohnt:
- Mit welchen Mitteln können wir die Demokratie stärken?
- Welche Werte verfolgt unsere Verfassung? Stehe ich dahinter und warum?
- Was würde ich tun, wenn uns in unserem Land ein autokratisches System ereilen sollte? Wie würde ich das überhaupt identifizieren können?
- Würde ich dagegen vorgehen? Wenn ja, wie würde ich in den ersten Wochen dagegen vorgehen, wie nach zwei Jahren?
- Welche Fähigkeiten sollte ich erlernen, bevor es soweit kommt?
Mit nachdenklichen Grüßen,
RdF
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