Liest man Beiträge der letzten Wochen, schaltet man öffentlich finanzierte Medien ein oder kauft sich ein Zeitungspapier: Ich denke, ist das Land denn wirklich so verrückt-unruhig geworden? Zeit für eine kurze nüchterne Modellanalyse, an einem historischen Tag.
Postmarxistische Denkarten pflegen die Auseinandersetzung verschiedener Positionen und Ansichten, die ein weit breiteres Spektrum als die des klassische Marxismus zu bedienen hegt, in dem es gilt, ein komplexeres, vielfältigeres Verhältnis moderner Machtstrukturen auch in politischen Konstellationen fernab des Geldes zu untersuchen. Ich entscheide mich dazu heute einem Versuch zu nähren, diese Theorie auf das politische Deutschland mit vier zentralen Positionen anzuwenden mit subjektiven Meinung zu dieser, jedoch diese nicht zu streng gewürzt, vorzutragen.
Soziale Identitäten: In Deutschland erkennen wir eine zunehmende Fragmentierung der politischen Landschaft – in verschiedenen Gruppen. Sind es progressive Bewegungen, rechte oder linke Gruppierungen bis hin zu kleineren sozialen oder ökologischen Vereinigungen, die um Anerkennung und Einfluss kämpfen. Dabei konkurrieren unterschiedliche Werte und Ideologien, von maximalen Sozialismus-Fantasien bis hin zu einer kompletten Überlassung des eigenen Lebens im Sinne der individuellen Freiheit.
Diskurse: In Deutschland sind Themen wie Migration, Klimawandel und soziale Gerechtigkeit im Zentrum öffentlicher Debatten, aber die Art und Weise, wie diese Themen diskutiert werden, variiert stark und polemisiert sich. Rechte Kräfte versuchen, den Diskurs durch eine Rhetorik von Angst und Nationalismus zu dominieren, während sich Mitstreiter linker Ebenen einer gewissen Realitätsverweigerung und Ideologisierung von Themen zuschreiben müssen. Dabei sollten progressive Kräfte nicht außer Kraft gelassen werden, die diese Bereiche mit Solidarität, Umweltschutz und eine Stärkung der sozialen Gerechtigkeit in die politische Diskussion eingreifen. Erlangt man, oft ereignisbasiert, die Deutungshoheit über solche Themen, kann großer Einfluss auf die politische Richtung des Landes genommen werden. Nicht vergessen sollte man dabei die Aufgabe (öffentlicher) Medien, den Arbeitsraum auch derer zu kontrollieren und kritisieren, die nicht nur oppositionelle Arbeit leisten. Es lassen sich Debatten erkennen, die oft einen eingeengten Meinungskorridor aufweisen.
Soziale Ungleichheit: Oft vergessenen wir, dass wir zu einer der stabilsten Sozialstaaten der Erde gehören dürfen, ein Privileg harter Vorarbeit unserer Eltern und Großeltern, die diesen mit aufgebaut haben. Trotz alledem sind die sozialen Ungleichheiten in den letzten Jahrzehnten gewachsen, was auch mit neoliberalen Wirtschaftsreformen zusammenhängen kann. Bleiben wir bei der postmarxistischen Betrachtungs- und Deutungshoheit, wage ich zu behaupten, dass nicht nur eine Frage der ökonomischen Verteilung ist, sondern auch eine Frage der politischen Macht. Die teils geprägte neoliberale Agenda hat nicht nur das Wohlfahrtsstaatssystem verändert, sondern auch die politische Kultur, indem sie den Fokus auf individuelle Verantwortung und Marktfreiheit verstärkt. Ein Trend, der durch andere Kräfte wieder in Gegenrichtungen zu versuchen gedrängt wird.
Populismus als neuer Widerstand: Bewusst provokativ formuliere ich vor einem kurzen Resumée diese letzte These, die auf der mir vorliegenden digitalen Literatur und Erinnerungen an intensive Auseinandersetzungen mit dem Postmarxismus in der Schulzeit basiert, um aktuelle Gegebenheiten zu analysieren. Populistische Bewegungen, die längst wieder salonfähig geworden sind, sprechen oft direkt die Ängste und Sorgen der Menschen an und bieten einfache Lösungen für komplexe gesellschaftliche Probleme. Die Herausforderung für progressive Kräfte sollte darin bestehen, diese populistischen Bewegungen nicht nur ökonomisch, sondern auch ideologisch und kulturell zu verstehen und ihnen eine solidarische, inklusive und pluralistische Vision entgegenzusetzen. Doch was passiert? Verdrängung und Nicht-Thematisierung vieler Themenfelder führen zum Überlassen wichtiger Fragestellungen an einzelne Kräfte; und geben diesen einen neuen Anspruch die allein herrschende Macht über diese Themenfelder zu sein. Kaum inhaltliches wird in diesen Diskursen oft entgegen gesetzt, schlichtweg vereinfacht ignoriert und so werden wichtige zukunftsweisende Fragestellungen dann vertagt. Doch ist es wirklich die Lösung, mit einem Meer an Lichterketten, simplen Vergleichen an das vorliegende Jahrhundert deutscher Geschichte oder weiteren Framing-Versuchen zu reagieren, und damit im Unbewusstsein eine Stärkung populistischer Strömungen herbei zu führen? Zeit, Debatten wieder den nötigen Raum bereit zu stellen, den sie in einer Demokratie benötigen.
Sind wir also alle so unruhig gerade, sind alle verrückt, oder ist es ein Gefühl des Wunsches nach Veränderung von innen heraus? Bleiben wir doch ruhig und besonnen und lassen uns vielleicht nicht von jeder Schlagzeile gleich beeinflussen. Führen wir die Debatten, denken dabei auch an Sphären außerhalb marxistischer Betrachtungsweisen, erweitern den Raum für Diskussionen in verschiedenen Dimensionen und gewichten diese, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe wären hocherfreut! Und PS: Natürlich habe ich vorab nochmals die wichtigsten Elemente des Postmarxismus versucht einfach zu recherchieren.
Update 19:16Uhr: Bis zur Fertigstellung schaute ich mir nicht die ersten Prognosen des heutigen Wahltages an. Doch was sieht man im ersten Eindruck nun, ein breites Spektrum politischer Kräfte scheint sich zu etablieren, Gegenbewegungen politischer Entscheidungsfindungen vergangener drei Jahre scheinen einen Aufschwung zu erhalten, die Wahlbeteiligung des Volkes so hoch wie seit 1987 nicht mehr – ich halte vorerst fest: Ein guter Tag für die Demokratie!
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